Rita Keller

«Ich will das Licht weitertragen»

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Rita Keller gehört zu den profiliertesten Iyengar-Yogalehrerinnen weltweit und beeindruckt durch ihr tiefes Wissen, das sie mit viel Herzlichkeit vermittelt. Als enge Vertraute von B.K.S. Iyengar bemüht sie sich seit seinem Tod vor vier Jahren, sein Licht weiterzutragen.

Text: Karin Reber

Wenn Rita Keller unterrichtet, ist der Raum erfüllt von ihrer Warmherzigkeit und vom Staunen über ihr tiefes Wissen. Egal, ob sie über die Ausrichtung in einem Asana spricht, über Philosophie und Ayurveda referiert oder eine Stellung anleitet - ihre Passion für den Yoga und das Unterrichten ist immer spürbar. Ihre liebevollen Aufmunterungen bei anspruchsvollen Stellungen, die klaren Anweisungen, wenn jemand wegen einem körperlichen Problem anders üben soll, und ihr herzhaftes, kehliges Lachen machen ihre Seminare zu einem Ort, wo man gerne und mit Begeisterung lernt und sein Bestes gibt.

Damit tut die zierliche 66-Jährige genau das, was sie an ihrem Guru, B.K.S. Iyengar, so sehr bewundert hat: «Der Kontakt mit ihm hatte einen unglaublichen Tiefgang. Er hat uns beim Üben von aussen nach innen, von innen nach aussen geführt. Er hat uns in Bewusstseinsebenen hineingetragen, die wir zu Hause nicht mehr erreichen konnten. Das ist die Magie des guten Unterrichtens.»

Strenge und Mitgefühl

Rita Keller unterrichtet seit über 40 Jahren Iyengar-Yoga und war eine der engsten Vertrauten des grossen Yogameisters aus Pune, der 2014 gestorben ist. Wenn sie von ihm spricht, ist ihre grosse Verehrung und Bewunderung für sein immenses Wissen, seine Güte und ja, auch seine Strenge offensichtlich: «Wenn er uns im Yogaraum in Pune unterrichtete, standen all unsere Zellen stramm. Das war gut so, sonst hätten wir nicht so tief gelernt. Er hatte ein starkes inneres Feuer.» Zugleich war B.K.S. Iyengar sehr liebevoll. «Ich kenne niemanden sonst, der so viel Mitgefühl hat, ohne mitzuweinen, der sich immer auf Herzebene verbindet», sagt sie. Auch wenn er harsch gewesen sei, sei es nicht darum gegangen, sich auszutoben, sondern darum, seinen Schülerinnen und Schülern zu helfen. Oder mit einem präzisen Schlag eine unbewusste Stelle im Körper zu erwecken.

Ein Unfall mit ungeahnten Folgen

Rita Kellers Yogaweg begann mit knapp 18 Jahren, als sie beim Kunstspringen ihr Bein schwer verletzte und dieses nicht rechtzeitig behandelt wurde. Sie hatte Sport und Sportmedizin studieren wollen, was wegen des Unfalls unmöglich wurde. Um sie aus ihrer Depression herauszuholen, nahm ein Freund sie über die nahegelegene Grenze nach Holland zu einem Yogalehrer mit.

«Wir übten Kriya-Yoga mit viel Meditation», erinnert sie sich. Es genügte der jungen Frau, die so viel Sport getrieben hatte, jedoch nicht, nur auf dem Stuhl zu sitzen. Sie wechselten mehrmals die Lehrer, bis sie schliesslich einen fanden, der auch Asanas unterrichtete. Da sie mit ihrem Bein nicht wirklich mitmachen konnte, drehte sie den Übenden den Rücken zu. Da riss der Lehrer sie herum und sagte: «Hey, du, das ist alles nur in deinem Kopf!»

Das war der Weckruf für Rita Keller. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie sich selber aus ihrer Situation herausholen musste. Der Yogalehrer zeigte ihr Übungen zum Strecken des Beines. Dank ihrem guten Körpergefühl als Kunstspringerin und Synchronschwimmerin fie-len seine Anleitungen auf fruchtbaren Boden. Ihr Interesse am Yoga war geweckt.

Das Buch, das ihre Seele berührte

Kurze Zeit später entdeckte sie B.K.S. Iyengars Buch «Licht auf Yoga». «Es berührte mich so tief in meiner Seele wie nichts zuvor», erzählt Rita Keller. «Mich beeindruckte sein stilles Strahlen in den Asanas und die Präzision, mit der er arbeitete.» In London, wo sie zeitweise beruflich arbeitete, besuchte sie 1974 ihre erste Iyengar-Yogastunde bei Maxine Tobias, 1986 traf sie in Amsterdam Guruji, wie sie Iyengar respekt- und liebevoll nennt, und meldete sich für die dortige Iyengar-Yogaausbildung an. Ab 1990 besuchte sie jährlich Weiterbildungskurse am Iyengar-Yogainstitut in Pune. Als B.K.S. Iyengar ihr Bein sah und wie sie übte, schimpfte er mit ihr. Und sagte dann: «Wir starten sanft. Wenn du bei mir bleibst und übst, verspreche ich dir, dass du schliesslich den Lotussitz machen wirst.»

«Der Guru trat durch das Buch sehr früh in mein Leben», sagt Rita Keller. Vom ersten Augenblick an eine ver-spürte sie grosse Begeisterung und Hingabe für seinen Yoga. «Für mich gibt es keine andere Methode auf der Welt, die alles so zusammenbringt wie der Iyengar-Yoga.» Entsprechend hingebungsvoll übte und übt sie. Einmal, während einer Intensivwoche, wachte sie mitten in der Nacht in ihrem Hotelzimmer in Pune auf und praktizierte bis zum Morgen im Bett Dandasana, die Stockhaltung.

«Das geht mir heute noch so», erzählt sie. «Wenn ich etwas von ihm lese und das begeistert mich, übe ich so lange, bis ich es verstehe.»

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Eine grosse Familie

In den Neunzigerjahren, als noch nicht so viele Leute ins Institut kamen wie heute, fühlte sich die Gruppe wie eine grosse internationale Familie an. «Der Guru ist Vater, Mutter und mehr.» Iyengar habe oft gesagt, dass er seine Schülerinnen und Schüler mehr liebe als seine eigenen Kinder. Das sei auch umgekehrt so gewesen. Er nahm Anteil, war mitfühlend und stiess seine Schüler durchaus auch von sich weg, wenn sie zu anhänglich wurden. «Ihm war unsere Selbstentwicklung wichtig», sagt sie.

Für die Prüfung für das «Junior 3»-Diplom hat sie sich wochenlang vor seinen Augen in anspruchsvollen Stellungen abgemüht, ohne dass er ihr geholfen hätte. Er wollte, dass sie aus ihrer eigenen Praxis heraus erkannte um was es geht. Als sie nach drei Wochen alle Asanas gemeistert hatte, klopfter er ihr zufrieden auf die Schulter und zeigte ihr, wie sie verfeinert und vertieft üben konnte. B.K.S. Iyengar gab Rita Keller den Auftrag, in Deutschland eine Ausbildung anzubieten und eine Vereinigung zu gründen. Zudem schickte er sie an viele verschiedene Orte, um beim Aufbau von Ausbildungen und Vereinigungen zu helfen. «Das war schon sehr toll, wie das alles vom Guru angeschoben wurde», erzählt sie. Immer wieder spricht sie von ihrer tiefen Beziehung zum ihm und auch zu Gita Iyengar, seiner Tochter. Ihr kam sie in den Intensivwochen näher und es entstand eine sehr freundschaftlich schwesterliche Beziehung. Das Intensiv-Seminar für Frauen führte dazu, dass die beiden beschlossen, zusammen Bücher zu schreiben. Zuerst entstand das Buch über Schwangerschaft, an dem auch Rita Kellers Tochter Kerstin Khattab, Iyengar-Yogalehrerin und Ärztin, mitarbeitete. Auch da, und vor allem beim eben erschienenen Buch zur Menopause wurden die drei Frauen vom Guru begleitet und unterstützt. Er arbeitete das über 500 Seiten lange Buch zweimal komplett mit Rita Keller durch.

Das Buch zur Menopause entstand in einem Zeitraum von 13 Jahren. Die ersten zwei Jahre interviewte Rita Keller Frauen aus aller Welt, um zu hören, was in einem solchen Buch stehen soll. So entstand die Stoffsammlung.

Auf Anregung des Gurus kam das Kapitel über Brust-krebs hinzu, da dies ein so grosses Thema geworden ist in der heutigen Zeit. «Er hat immer geschaut, dass man das richtige Futter bekommt. Auf allen Ebenen.»

Das Erbe antreten

Am 20. August 2014 starb B.K.S. Iyengar im Alter von 96 Jahren. Trotzdem spürt Rita Keller immer noch eine starke Verbundenheit. «Im Christentum sagen wir, dass Gott immanent und transzendent ist. So ist es auch mit meinem Guru.» Er sei lange Zeit körperlich anwesend gewesen und auch da schon immer in ihr. «Nun ist er körperlich nicht mehr da, doch die innere Führung ist geblieben. Er ist immanent und gewisser Weise auch transzendent.» Rita Keller findet, dass es weniger wichtig sei, mit der «Marke» Iyengar-Yoga weiterzumachen als vielmehr sein Licht weiterzutragen. Das Licht, das er in seinen Büchern und mit seinem Wesen verbreitet hat. Aus seinen Schriften und allem, was er gegeben hat. «Wir haben alle zusammen seinen Yoga geerbt. Es ist nicht Einzelnen vorbehalten, dieses Licht weiterzutragen. Ich wünsche mir, dass wir seine Tradition hochhalten und uns zugleich weiterentwickeln. Nicht die Asche, sondern das Feuer weitertragen.» Ganz im Sinn von Gurujis letzter Botschaft: «Mein Ende ist euer Anfang.»